Dazwischen liegen Welten!
Welche Unterschiede gibt es bei der Gesundheit von Frauen und Männern? Was sind typische „Frauenkrankheiten“? Was sollten Frauen bei der Einnahme von Medikamenten beachten? Wir haben diese wichtigen Aspekte der „Gendermedizin“ für Sie zusammengefasst, denn sie spielen eine wichtige Rolle bei der Behandlung und Prävention von Erkrankungen.
Gender-Medizin: Entstehung und Definition
Welche Auswirkungen hat der viel zitierte "kleine Unterschied" zwischen den Geschlechtern auf gesundheitliche bzw. krankheitsspezifische Belange? Seit den 1980er-Jahren beschäftigen sich Experten und Expertinnen mit dieser Frage und mit den medizinisch wichtigen Unterschieden zwischen Mann und Frau, die über den Bereich der Geschlechtsorgane hinausgehen. Bis 2001 dauerte es dann noch, ehe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfahl, lokale Strategien für eine geschlechterspezifische Gesundheitsvorsorge zu entwickeln und umzusetzen: Die Gender-Medizin war geboren.
In der Medizin zeigen sich geschlechtsspezifische Ausprägungen nicht nur in der Anatomie. Die Gender-Medizin beschäftigt sich generell mit den Unterschieden zwischen Mann und Frau. Dazu gehören einerseits die sozialen und kulturellen Unterschieden zwischen den Geschlechtern in Bezug auf gesundheitliche bzw. medizinische Belange – denn die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden, wird in besonderem Maße auch durch gesellschaftlich geprägtes Verhalten beeinflusst. Andererseits stehen im Rahmen der Gender-Medizin Unterschiede in der Symptomatik bei bestimmten Erkrankungen sowie die geschlechtsspezifischen Reaktionen auf Therapien im Mittelpunkt.
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Erkrankungen
Dass Frauen und Männer auf Krankheiten und Therapien unterschiedlich reagieren, liegt an ihrer verschiedenartigen genetischen und biologischen „Ausstattung“. Hormone, Erbanlagen, Anatomie und Stoffwechselvorgänge stehen daher im Fokus der Gender-Medizin-Forschung. Die hier gewonnenen Erkenntnisse – vor allem in Bezug auf die hormonelle Ausstattung (Fachgebiet „Endokrinologie“) und den Stoffwechsel („Metabolismus“) – sind insbesondere für die so genannten Lebensstilerkrankungen, wie u.a. Herz-Kreislauf-Probleme, aber auch für psychiatrische Krankheiten, wie z.B. Depressionen, von großer Bedeutung.
Im Hinblick auf Erkrankungen wie Depression, Migräne, Multiple Sklerose, Osteoporose und Alzheimer weisen Frauen ein deutlich höheres Erkrankungsrisiko auf. Von rheumatischen und anderen Autoimmunerkrankungen sind Frauen sogar zwei- bis viermal so oft betroffen. Herzinfarkt galt lange Zeit als männlich dominierte Erkrankung. Doch die Statistik zeigt: Nach dem 50. Lebensjahr sind sogar häufiger Frauen betroffen.
Auch Harnwegsinfekte sind grundsätzlich eher ein typisch weibliches Problem; sie treten allerdings auch bei Männern im fortgeschrittenen Alter, insbesondere bei Vergrößerung der Prostata, auf.
Männer leiden hingegen häufiger an Lifestyle-Erkrankungen, Sportverletzungen, Lungen- und Darmkrebs. Blasenkrebs ist bei Frauen zwar seltener, tritt dafür aber oftmals aggressiver auf.
Lebenserwartung und Lebensqualität
Die Frage, ob Frauen wirklich länger leben, kann statistisch gesehen mit ja beantwortet werden. Bereits zu Beginn des Lebens zeigt sich eine höhere Sterblichkeit bei männlichen Neugeborenen. Und das bleibt das ganze Leben lang so. Frauen werden z.B. durchschnittlich fünf Jahre älter als Männer. Doch ist dies nur zu einem gewissen Teil auf biologische und genetische Faktoren zurückzuführen. So wie das Verletzungsrisiko bei Männern ein Leben lang aufgrund ihrer höheren Risikobereitschaft größer ist, liegt wohl auch ihre kürzere Lebenserwartung zu einem großen Teil im Verhalten begründet. Männer sind beispielsweise öfter Opfer von Verkehrsunfällen, weil sie schnelles Fahren als Beweis ihrer Männlichkeit empfinden. Auch ihr Alkoholkonsum ist höher und sie rauchen mehr als Frauen. Letztendlich gehen Männer auch seltener zu Vorsorgeuntersuchungen. Frauen sind allerdings in fortgeschrittenem Alter anfälliger für bestimmte Krankheiten als Männer. Frauen sterben zwar später als Männer, jedoch haben sie in den letzten Lebensjahren eine schlechtere Lebensqualität.
Typisch Frau? Wechseljahre und Schmerzwahrnehmung
„Wenn Männer Kinder gebären müssten, wären wir längst ausgestorben“ – ein weit verbreiteter Spruch, der sich auf die angeblich größere Schmerzempfindlichkeit der Männer bezieht. Doch grundsätzlich reagieren Frauen sogar sensibler auf Schmerzen als Männer. Allerdings schwankt die weibliche Schmerzwahrnehmung: Während der Menstruation und zur Zeit des Eisprungs besteht eine hohe Schmerzempfindlichkeit. In der ersten Hälfte des Zyklus ist die Frau dagegen deutlich weniger schmerzempfindlich.
Und wie ist es mit den Wechseljahren - sind nur Frauen davon betroffen? Nicht ganz. Auch beim Mann kommt es ab dem 40. Lebensjahr zu einer Veränderung im Hormonhaushalt: Der Testosteronspiegel sinkt ab. Bei manchen Männern führt dieser Umstand zu Beschwerden wie Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, depressiven Verstimmungen, Abnahme der Libido (= Lust auf Sex) oder auch Osteoporose. Doch der Einschnitt in den männlichen Hormonhaushalt ist bei Weitem nicht so gravierend wie jener bei der Frau. Zudem erfolgt die Umstellung beim Mann über viele Jahre (bzw. Jahrzehnte).
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Medikamenten
Bis in die 1990er-Jahre waren im Rahmen der Zulassung neuer Medikamente gebärfähige Frauen von der Teilnahme an Studien ausgeschlossen. In erster Linie aus Sorge um negative Auswirkungen auf die Gebärfähigkeit bzw. auf das ungeborene Kind, falls eine Teilnehmerin während einer Medikamentenstudie ungewollt schwanger würde. So kam es, dass einige Medikamente überhaupt nicht an Frauen getestet wurden. Noch seltener wurde mitberücksichtigt, inwieweit Frauen auf ein bestimmtes Medikament anders reagieren als Männer.
Dies hat sich in den letzten Jahren geändert. Mittlerweile gibt es Richtlinien, die vorschreiben, dass der Gender-Aspekt in Studien berücksichtigt werden muss. Ein wichtiger Schritt, denn der „kleine Unterschied“ ist bei der Wirkung von Medikamenten nicht zu unterschätzen. Frauen haben beispielsweise weniger Gewicht als Männer, allerdings einen höheren Körperfettanteil, und auch ihre Organe werden stärker durchblutet, um nur einige der für die Arzneimittelwirkung relevanten geschlechtsspezifischen Merkmale zu nennen.
Stress und Herzgesundheit
Chronischer Stress hat zwar auf beide Geschlechter negative gesundheitliche Auswirkungen, aber Frauen sind aus verschiedenen Gründen stärker betroffen. Einerseits sind sie oft durch die Doppel- und Dreifachbelastung Beruf/ Kinder/Haushalt größerem Druck ausgesetzt, andererseits ist ihre Stressempfindlichkeit stärker ausgeprägt. Sie reagieren bereits auf geringere Stresslevel und können sich auch schlechter an chronischen Stress gewöhnen als Männer. Dies liegt zum Teil an dem bei Frauen vermehrt vorhandenen Hormon Oxytocin, welches das Stressniveau erheblich beeinflusst. Aber auch Unterschiede im Lebensstil, bei den Umwelteinflüssen und in den Stressbewältigungsstrategien spielen eine Rolle.
Auch bei Herz-Kreislauferkrankungen zeigen sich geschlechtsspezifische Besonderheiten. Zum einen hinsichtlich der Symptome, zum anderen auch bezüglich der Sterblichkeit. So stirbt jede dritte Frau, die einen Herzinfarkt erlitten hat, daran, hingegen nur jeder vierte Mann. Generell sind kardiovaskuläre Erkrankungen (darunter versteht man Krankheiten, die Herz und Gefäße betreffen) bei Frauen in Europa die Todesursache Nummer eins! Ein Grund dafür: Gefäßerkrankungen werden bei Frauen oftmals später erkannt als bei Männern.
Weibliche Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen
- Bei rauchenden Frauen ist das Herzinfarktrisiko um 25% höher als bei rauchenden Männern.
- Frauen leiden doppelt so häufig unter Depressionen – generell ein Risikofaktor für Herzkrankheiten – wie Männer.
- Diabetes – ebenfalls ein Risikofaktor für Gefäßerkrankungen – wird bei Frauen oftmals erst in einem späteren Stadium entdeckt als bei Männern.
- Faktoren wie frühe Wechseljahre oder ein unregelmäßiger Zyklus erhöhen ebenfalls das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Quellen:
Gesundheitsratgeber „Frauengesundheit verstehen“
Herausgeber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH, 1070 Wien